Interview
Zwischen Reinhild und Ruth
oder
Zwischen Tüschendorf (alternativ
Teufelsmoor) und Triton
Interview mit Reinhild von Michalewsky zu Nikolai von Michalewsky
Wann hast du zum aller ersten Mal von Nikolai von
Michalewsky gehört?
Ich lernte Nikolai v. Michalewsky
durch eine Autorenlesung kennen.
Wie kam es, dass du ihn eingeladen hast?
Der Börsenverein des deutschen Buchhandels engagierte sich damals
sehr, Kindern und Jugendlichen Zugang zur Welt der Bücher zu
verschaffen. Deshalb organisierten der Verein Autorenlesungen in
Schulen und Bibliotheken.
Wie war das für dich – für die Schüler? Kannten sie ihn
bereits?
Die Schüler und Schülerinnen ( eine 9. Volksschulklasse) hatten
einen Fragenkatalog erarbeitet, aber noch keines der Werke von
N.v.M. gelesen. Er las aus „Korallenjäger“, einem Buch, das
er nicht als Jugendbuch geschrieben hatte, das aber beim Verlag
Herder im Jugendbuchsektor erschienen war und den Beginn einer
langen Zeit der Zusammenarbeit markiert. Die Lesung war für die
Schüler und auch für mich beeindruckend. Im anschließenden Gespräch
zeigte sich N.v.M. sehr aufgeschlossen.
Was hat ihn zu der Zeit beschäftigt?
Neben dem ständigen Kampf ums Überleben als freischaffender
Künstler waren es z.B. Fragen zu Staatsmacht und Staatsgewalt und
zur Atomkraft. Es interessierten ihn immer geschichtliche
Zusammenhänge – hier besonders natürlich die jüngste deutsche
Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Als
ich ihn kennen lernte, waren aktuelle Themen die
Studentenproteste der 68er und die Bader-Meinhof-Gruppe.
Nikolai von Michalewsky hat ja unter verschiedenen
Pseudonymen veröffentlicht – Nick Norden schrieb Abenteuer-,
Victor Karelin historische Romane, Mark Brandis Mark Brandis und Bo
Anders eben andere Science Fiction – und hat damit
Verlegererwartungen entsprochen, die Leser nicht mit derartig
vielseitigen Autoren überfordern möchten. Mark Brandis selbst ist
ja der Initiative Anton Baumeisters vom Herder-Verlag zu verdanken,
der deinen Mann bat einen Science Fiction-Roman zu verfassen. Fast
fünfzehn Jahre nach der Einstellung der Mark Brandis-Reihe hat
Nikolai seinen Protagonisten im Eigenverlag wiederaufleben lassen –
deutlich verändert in der Kosmonen-Saga, deren zweiter Band
allerdings durch seinen frühzeitigen Tod nicht fortgeführt werden
konnte. Wie wichtig waren Nikolai von Michalewsky Unabhängigkeit
und Gestaltungsfreiheit?
Seine Unabhängigkeit war ihm
sehr wichtig. Zeit seines Lebens hat er als freier Schriftsteller
gearbeitet. Im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit denke ich, dass
sie ihm auf Grund seiner Meisterschaft im Erzählen und seiner
Fähigkeit, auch komplexe Themen verständlich und spannend zu
gestalten, von Seiten der Verlage und der Fernseh- und
Rundfunksender bereitwillig eingeräumt wurde.
Die Verwendung von Pseudonymen hat eine Wurzel auch in seinem
Wunsch nach Freiheit, nach dichterischer und gestalterischer
Freiheit. Seine ersten Bücher veröffentlichte N.v.M. natürlich
unter seinem Namen. Als er dann Bücher bei Herder veröffentlichte,
musste er die Erfahrung machen, dass ihn die Literaturkritik
nur noch als Jugendbuchautoren wahrnahm. Plötzlich wurde er in eine
Schublade gesteckt, in die er nicht hinein wollte. Er war kein
Jugendbuchautor. Er schrieb Bücher über Themen, die ihn bewegten,
und er erzählte seine Geschichten nicht für eine bestimmte
Leserschaft. N.v.M. gewann den Eindruck, dass seine Freiheit
eingeschränkt, seine Vielseitigkeit zum Problem wurde. Ich kann
heute nicht mehr beurteilen, wie stark sich bei der
Pseudonymen-Vielfalt die Interessen des Verlages und die
meines Mannes ergänzten.
Sein Lebenslauf liest sich selbst wie ein Abenteuerroman.
Nachdem er die Schule abgebrochen hatte, ist er um die ganze
Erdkugel gereist, vornehmlich auf dem Wasserweg, war
leidenschaftlicher Segler, hat im Mittelmeer am Rand der Legalität
nach Schätzen getaucht, sich als Hafenarbeiter verdingt, als
Industriepolizist, hat Reportagen geschrieben, unter anderem für
eine amerikanische Agentur über den algerischen Befreiungskrieg, er
hat in Belgisch Kongo auf einer Kaffeeplantage als Kaffeepflanzer
gearbeitet, die Sahara durchpflügt . In einem Interview mit Carsten
Kuhr für Phantastik.de sprach dein Mann von einem „aufgespaltenen“
Leben zwischen der „großen Stille des Teufelsmoores und dem in der
majestätischen Ruhe unter dem Sternenhimmel des Mittelmeeres“ – wie
viel Abenteuerleben hast du mitgemacht, mit ihm
geteilt?
Man muss sich vergegenwärtigen, dass N.v.M. bei
Ende des 2. Weltkrieges 14 Jahre alt war. Die Eingewöhnung in ein
geordnetes Schulleben war für diese Generation schwierig, die
Sicherung der Lebensgrundlagen hatte Vorrang. Trotzdem besuchte er
die Schule und wurde in dieser Zeit auch schon für literarische
Werke ausgezeichnet. Aus sehr persönlichen Gründen verließ er
dann das Gymnasium. Er zeugt von Einfallsreichtum, Willenskraft und
einem großen Drang nach Freiheit, wie er dann sein Leben gestaltete
und natürlich auch Möglichkeiten suchte, Geld zu verdienen.
Als ich ihn kennen lernte, verlief sein Leben durchaus schon in
ruhigeren Bahnen: Er hatte Erfolg als Schriftsteller, drehte
Dokumentarfilme für das Fernsehen, schrieb Hörfunksendungen für den
Schulfunk, aber auch Krimis als Kurzgeschichte oder als Hörspiel.
Sein Arbeitspensum war groß. Ich habe immer seine ungeheure
Disziplin bewundert, mit der er arbeitete.
Aber die Sehnsucht nach Freiheit begleitete ihn immer. Er fand eine
Erfüllung dieser Sehnsucht auf dem Meer. Er liebte die Hitze des
Sommers auf einem Boot im Mittelmeer, nutzte aber auch die
Möglichkeit durch seine Arbeit an Dokumentarfilmen nördliche Meere
zu befahren. Die Nordsee bei Novemberstürmen auf Fischkuttern,
Bohrinseln oder Rettungskreuzern – diese Herausforderung
begeisterte ihn.
Er suchte den Geschmack der Freiheit, aber nicht das Abenteuer. „
Abenteuer suchen nur Dummköpfe“, sagte er.
Nikolai von Michalewsky war ein ausgewiesener Gutmensch.
Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er den
Journalistenpreis für Entwicklungshilfe und Denkmalschutz, er
engagierte sich ehrenamtlich für die Deutsche Gesellschaft zur
Rettung Schiffbrüchiger. Alexander Seibold schreibt in der
„phantastisch!“ Nr. 28, Nikolai von Michalewsky gehöre zu den
bedeutenden europäischen Moralisten – neben Michel de Montaigne,
Oscar Wilde und Christoph Lichtenberg. Wie passt das zusammen mit
Geschichten, in denen dauernd jemand die „Knarre in der Hand“
hat?
N.v.M. war im guten Sinn des Wortes ein Moralist,
aber ganz bestimmt kein Gutmensch. Hätte man ihn in eine andere
Welt und Zeit versetzen können, wäre seine Wahl vielleicht auf die
Welt des Wilden Westens gefallen. Für das Recht zu streiten –
notfalls mit der „Knarre in der Hand“ – das wäre sein Weg
gewesen.
Es ist ihm tatsächlich gelungen über spannend erzählte
Geschichten oder – wie Seibold es nennt – „Geschichtsschreibung
einer Zukunft, die beim Leser zu moralisch-kritischen Einsichten
führen kann“, also nach dem klassischen Katharsis-Prinzip, eine
pazifistische Grundhaltung zu vermitteln – trotz oder gerade mit
Hilfe der Darstellung von Bedrohungen, Kämpfen, Kriegen. „Woran du
glaubst, dafür sollst du leben und sterben“, heißt es bei Mark
Brandis. Verteidigung demokratischer Werte in Selbstverantwortung.
Allgemeine Wehrpflicht war für ihn nichts anderes als moderne
Kampfsklaverei. War er privat ein friedlicher Mensch?
Ja,
friedlich und friedliebend. Aber er wollte seine persönliche
Freiheit gewahrt wissen, die er zunehmend durch überbordende
Reglementierungen und Bürokratismus gefährdet sah. Er konnte
durchaus die Partei der Hauptfigur in dem Film „Ein Mann sieht Rot“
ergreifen. Dann war auch seine Wortwahl nicht sehr „friedlich“.
Als Meister der Kurzprosa – er hat, wie Alexander Seibold
berichtet, den Begriff der „Kurzgeschichte als Kinnhaken“ geprägt:
kurz und prägnant in doppelter Hinsicht – war er durchaus käuflich:
Um die Wechsel für seine Leidenschaft, eine 14-Tonner-Yacht zu
finanzieren, hat er sich verpflichtet, pro Monat zehn
Kurzgeschichten für eine Agentur zu schreiben. Kinnhaken am
Fließband – wie kamen ihm die Ideen?
Ich würde die
Formulierung „käuflich“ nicht verwenden. Sein Beruf und seine
Berufung waren das Schreiben. Damit verdiente er seinen
Lebensunterhalt. Und da gab es ein Schiff, einen alten
Lastensegler, das er gerne herrichten und für einen großen Teil des
Jahres als Lebens- und Arbeitsstätte nutzen wollte.
Welche Bank hätte ihm als freiem Künstler dafür einen Kredit
eingeräumt? Also verkaufte er das Produkt seiner Arbeit und war
sicher, dass das Risiko eines Wechsels für ihn in diesem Fall
kalkulierbar sei.
Als Lyriker ist Nikolai von Michalewsky kaum bekannt bisher.
Einiges hast du ja posthum auch erst veröffentlicht. Warum so
spät?
Es war N.v.M. nie gelungen, einen Verlag für seine Lyrik zu finden.
Die Resonanz war immer sehr positiv, aber es kam nie zu einem
Vertragsabschluss. Der bei BoD (Books on Demand) veröffentlichte
Lyrikband war von uns gemeinsam konzipiert worden, und ich
vollendete das Projekt nach seinem Tod.
Warst du ihm – bzw. inwiefern warst du ihm Muse – Lektorin -
Ruth?
In die Geschichten, die N.v.M. schrieb, sind immer auch persönliche
Erfahrungen eingeflossen. Insofern spiegelt die Beziehung zwischen
Mark Brandis und Ruth auch die unsere.
In der Zeit, die wir gemeinsam lebten, habe ich alle seine Arbeiten
gelesen und die meisten auch lektoriert.
Nikolai von Michalewsky ist von dem Herder-Verlag gut – zu
gut von seinen begeisterten Lesern abgeschirmt worden, wie es
scheint. Kurt Kobler schrieb über den legendären ersten Auftritt
deines Mannes auf den 10. SF-Tagen NRW 1998 im Dortmunder
Harenberg-Center, dass ihm das „Bad in der Menge“ sehr gefallen
habe. Obwohl er ein sehr nüchterner und wortkarger Mann zu sein
scheine, sei ihm die Freude, dass er hier regelrecht gefeiert
wurde, gut anzusehen gewesen. 1999 erhielt er dann auf der Trinity
den Deutschen Phantastik Award und wurde umjubelt, wie Ralf alias
Searge Pappers von sf-radio in seinem Nachruf berichtet. Hat es ihm
gut getan?
N.v.M. war ein bescheidener Mensch. Er scheute
nicht das Licht der Öffentlichkeit, aber er suchte es auch nicht.
Er freute sich über Fan-Post, die ihm vom Verlag zugestellt wurde,
und beantwortete sie immer umgehend. Aber es war ihm nicht bewusst,
dass Menschen, die SF-Literatur lesen, sich auch außerhalb ihrer
vier Wände mit Gleichgesinnten auf Cons trafen. Die Resonanz hat
ihn überrascht, und er war sehr beeindruckt.
Wie kam es dazu, dass die Mark Brandis-Reihe sieben Jahre
nach Nikolai von Michalewskys Tod als Hörspielreihe umgesetzt
wurde?
Balthasar von Weymarn kam auf mich zu mit dem Vorschlag, die Mark
Brandis-Bücher in Hörspielen neu erlebbar zu machen. Balthasar war
ein begeisterter Mark Brandis-Fan und ein Hörspielgestalter. Die
Idee einer möglichen Verfilmung der Bücher bzw. auch die
Umgestaltung zu Hörspielen, hatte auch meinen Mann schon
beschäftigt. Insofern führte ich seine Gedankengänge fort. Und ich
bin froh, dass es zu dieser Zusammenarbeit mit Balthasar von
Weymarn und Jochim Redeker gekommen ist.
Die Konzeption der Hörspiele sah einige Veränderungen vor,
um neben den alten Fans auch neue Adressaten zu erreichen. Die
Story wurde 50 Jahre in die Zukunft verlegt, es gab behutsame
Anpassungen an den heutigen Stand der Technik und heutige
Kenntnisse, die Sprache wurde aktualisiert, mehr Komik zugelassen,
die Frauenrollen wurden aufgewertet. Ganz wichtig war die
Entscheidung für ein Hörspiel, kein Hörbuch, was eine Veränderung
nicht nur der Erzählweise zum streng Szenischen mit sich brachte,
sondern auch eine perspektivische Beschränkung auf den
Protagonisten. Der Hörer weiß nie mehr als der Held. Es gibt keinen
Erzähler, der ihm irgendetwas erklärt. Nicht alle Alt-Fans haben
diese Veränderungen goutiert. Taten dir die Veränderung nicht auch
weh?
Nein, denn ein Hörspiel folgt einer anderen
Gesetzmäßigkeit als ein Prosatext. Es war für mich sehr klar, dass
auch N.v.M. seine Geschichten nicht eins zu eins umgesetzt hätte.
Zum einen war er ein Meister des Hörspiels, zum anderen war er viel
zu fantasievoll und zu spontan, um sich sklavisch an Vorgaben zu
halten – und wenn es die seiner eigenen Bücher gewesen wären. Wenn
Balthasar Änderungen vorschlägt, versuche ich nachzuspüren, wie
mein Mann das gesehen hätte. Danach entscheide ich, ob ich den
Änderungen zustimme oder nicht.
Du hast auf der sehr stimmungsvollen Premiere des zweiten
Hörspiels „Verrat auf der Venus“ im Planetarium Schkeuditz während
der Leipziger Buchmesse 2008 den Produzenten der Hörspiele höchstes
Lob gespendet, indem du meintest, die Hörspiele hätten deinem Mann
gewiss gefallen. Auch bei Hörern und Kritikern kam die akustische
Umsetzung gut an. Es gab überschwängliche Kritiken, Nominierungen
und Auszeichnungen. „Mark Brandis Bordbuch Delta VII“ erhielt den
Deutschen Phantastikpreis 2008 für das beste Hörspiel / Hörbuch,
ein Jahr später ist Mark Brandis erneut nominiert worden und hat
den zweiten Platz gemacht. Ernst Wurdack hatte mich in der
Produktionsphase zum ersten Hörspiel gefragt, ob ich mir vorstellen
könnte, dass du ihm die Rechte an einer Wiederauflage der Serie
einräumen würdest. Ich habe ihn sehr ermuntert, und es hat ja
tatsächlich geklappt. Beim Deutschen Phantastikpreis 2009 belegte
die Mark Brandis-Ausgabe bei Wurdack den vierten Platz als „Beste
Serie“. Was bedeutet das für dich?
Es ist für mich ein
beglückendes Gefühl, wenn Bücher meines Mannes wieder
veröffentlicht werden. Denn gerade in ihnen lebt er doch
weiter.
Wie wird es weitergehen? Es gab die MB-Reihe auf
Niederländisch, Englisch, Französisch, Dänisch, Spanisch,
Portugiesisch, Ungarisch, sogar Chinesisch. Sie war die
erfolgreichste deutschsprachige Science Fiction-Reihe nach Perry
Rhodan. Balthasar von Weymarn, der mit Jochim Redeker die
Hörspielreihe produziert, ist Regisseur. Wann wird die Welt einen
Mark Brandis-Film zu sehen bekommen? Mirjam Lübke, begeisterter Fan
der Roman- und Hörspiel-Serie, sieht schon Tom Selleck in der Rolle
des Mark Brandis, Robert de Niro als John Harris, Sean Connery als
Iwan Stroganow und Will Smith als Antoine Ibaka. Wie weit sind die
Verhandlungen gediehen?
Hier gibt es keine konkreten
Pläne.
Das Interview führte Regina Schleheck.